Donnerstag, 3. November 2011

Taquile – wenn die Flüsse aufwärts fließen und die Hasen Jäger schießen


Als Verfasserin einer wissenschaftlichen Arbeit, die sich auf 135 Seiten mit genderspezifischen Fragen beschäftigt und dem Thema „Männer und soziale Berufe“ gewidmet hat, kann ich unseren kleinen Ausflug auf die peruanische Insel Taquile im Titicacasee einfach nicht unkommentiert lassen. Da machte ich mir im letzten Jahr monatelang einen Kopf darüber, ob und wie man Jungs dazu motivieren kann, geschlechtsspezifische Stereotypen zu durchbrechen und sie zu sogenannten frauentypischen Berufen motivieren kann. „Was fürJungs!“, das Projekt, das ich im Rahmen der Arbeit untersucht habe, ist sicher ein guter Weg, um Bildungsanreize zu schaffen und Vorurteile abzubauen. Nun reichten nur ca. 48 Stunden, und mir ist eine neue Erleuchtung gekommen, und ich habe die ultimative Idee, wie man geschlechtsspezifische Vorurteile abbauen und Einstellungen verändern kann: Alle Jungs auf Klassenfahrt nach Taquile!

Taquile ist ein kleine Insel auf ca. 4.000 Metern Höhe auf dem schönen Titicacasee. Die Insel ist klein – 6 Kilometer lang und 1 Kilometer breit. Auf Taquile leben 1.600 Menschen in kleinen Häuschen, die liebevoll auf der Insel verstreut sind. Die Insel ist eine 3-stündige Bootsfahrt vom Festland entfernt, und jeden Morgen kommen Ausflugsboote, die eine Schar von Touristen mitbringen. Diese hetzen in 2-3 Stunden über die Insel, schießen Fotos, kaufen Kunsthandwerk und essen in den kleinen Restaurants zu Mittag, bevor sie wieder die Heimreise antreten. Man kann aber auch auf der Insel bleiben und Unterkunft bei einer der heimischen Familien finden. Es gibt auch eine Schule auf Taquile – vielleicht möchte ja mal ein Junge als Austauschschüler kommen? Leider bleiben die wenigsten Besucher länger als diese 2-3 Stunden auf der Insel und verpassen meiner Auffassung nach einige wesentliche Aspekte Taquiles.
Taquile ist eine einfache Insel, die kein Strom und kein fließendes Wasser hat. Einige Häuser haben aber Solarzellen auf dem Dach, die ein paar Stunden Licht am Abend ermöglichen. Gekocht wir auf Lehmöfen, die mit Feuerholz geheizt werden. Es gibt natürlich auch keine Autos oder Straßen, sondern kleine Pfade und Wege, die über die Insel führen. Die Fortbewegung erfolgt zu Fuß, was sinnvoll ist, da die Männer während des Gehens ihrer Tätigkeit nachkommen können – dazu später.

Die Taquilenos sind ein sehr stolzes, traditionelles Inkavolk, das seine Kultur und Tradition auslebt und von Generation zu Generation weiterträgt. Die meisten der Bewohner sind zweisprachig und sprechen die Sprachen Quechua und Spanisch, es gibt allerdings auch einige Bewohner, die nur Quechua sprechen. In den Familien wird Quechua gesprochen, und die Kinder lernen Spanisch in der Schule. Die Familien leben hauptsächlich vom Tourismus, also von den Ausflugsbooten, die Tag für Tag die Insel ansteuern. Die Taquilenos steuern die Boote, führen die Touristen herum, bewirten sie und verkaufen Kunsthandwerk, das sie selbst hergestellt haben. Alle Taquilenos? Nein! Die Herstellung von Kunsthandwerk auf Taquile obliegt ausschließlich der männlichen Bevölkerung, sprich: Die Männer stricken. Sie stricken alles und das jederzeit. Sie stricken Mützen und Schals, Pullis und Ponchos, Taschen und Strümpfe. Sie stricken im Sitzen, im Stehen, im Liegen. Sie stricken beim Verkauf, beim Plausch mit dem Kollegen oder beim Gehen. Sie stricken einfach immer und überall und sind vor allem eines: stolz und verdammt gut! Manchmal weben sie auch, denn Webprodukte verkaufen sich auch ganz gut auf der Insel und das Weben macht ihnen darüber hinaus auch Spaß. So weben sie neben den vielen Strickprodukten auch schöne Teppiche und Decken. Ihre Produkte verkaufen die Männer an die Touristen, und es wird sich sicher niemanden wundern, wenn ich sage, dass das ganz schön gut geht. Ganz schön viele Touristen zücken versteckt ihre Kameras und lächeln verzückt über die handarbeitlichen Fähigkeiten der Männer, die meisten kaufen ein Souvenir, denn wer bringt nicht gern eine bunte Mütze aus dem Urlaub mit, die von Männerhand gestrickt wurde?
Die Männer stricken nicht, weil die Frauen das nicht können, sondern weil es auf der Insel seit vielen Jahrhunderten Tradition ist, dass beide Geschlechter diese Handarbeit verrichten. Die Tradition ist folgende: Die Männer stricken für die Frauen, und die Frauen für die Männer. Daraus hat sich entwickelt, dass die Männer die groben Web- und Strickarbeiten übernehmen und die Kleidung der geliebten Frauen herstellen, also beispielsweise warme Mützen, Pullover oder Tücher. Die Frauen haben sich auf feine Stickarbeiten spezialisiert, indem sie die traditionellen Gürtel und Taschen der Tracht herstellen, die die Männer auf der Insel tragen, wenn sie das Haus verlassen. In den Taschen bewahren die Männer übrigens Cocablätter auf, die sie mit anderen Männern austauschen, wenn sie -männertypisch halt- einen Klönschnack mit anderen Männern abhalten. Die Männer haben sich aber im Laufe der Zeit immer mehr der Produktion von Kunsthandwerk angenommen, denn schließlich haben die Frauen ja noch anderes zu tun. Außerdem, das leuchtet jawohl ein, können Männer auch auf den vielen Wegen beim Gehen stricken, da sie im Gegensatz zu den Frauen nicht schwer tragen müssen und die Hände frei haben. Weiterhin haben einige Frauen noch andere Jobs auf der Insel, beispielsweise sind sie Kapitäne der Ausflugsboote, die die Insel ansteuern. Die Frauen schleppen schwer und sind echte Seebären (-innen), während die Männer hübsche Mützchen stricken und die Produkte auf dem Markt verkaufen.

Wir hatten auf jedem Fall eine ganz bezaubernde Zeit auf der Insel und konnten in den kurzen zwei Tagen so entspannen und abschalten, als wären wir Wochen im Urlaub gewesen. Wir hatten das Glück, bei einer sehr netten Familie zu wohnen, die uns ein wenig von ihrer Kultur und ihrem Leben auf Taquile berichten mochten. Wir wurden herzlich empfangen und bekamen einen leichten Einblick in ihr Leben, als sie uns baten, ihre sechsjährige Tochter zum Haus der Großeltern zu begleiten. Wer nun erwartet, dass wir die kleine Annalí zu den Großeltern eskortierten, liegt falsch, denn wir waren ja schließlich auf Taquile, der Insel, auf der die Flüsse offenbar aufwärts fließen und die Männer Mützen stricken. Annalí eskortierte uns über die Insel, indem sie immer wieder stehen blieb, um uns Blumen zu pflücken, Kräuter zu zeigen und und über das Leben auf der Insel zu berichten. Über die Gewohnheiten der Kondore wusste sie ungefähr so gut Bescheid wie über die Wirkung verschiedener Kräuter im Teewasser. Es war beeindruckend zu erleben, wie selbstständig und selbstbewusst dieses kleine Mädchen auf der Insel aufwächst, fernab von guter Schulbildung, Büchern, Fernsehern oder Spielen.

Also Jungs, auf nach Taquile. Hier könnt Ihr nicht nur endlich Euren heimlichen Leidenschaften nachgehen und müsst nicht man-like mit Muskelkraft protzen oder gar Kapitän werden. Außerdem gibt’s hier echte Powerfrauen, die Eure kreative Ader bewundern und sich über Strick- und Webgeschenke freuen. Außerdem werdet Ihr ständig fotografiert und ziert die Postkartenmotive der Insel. Ein Bild geht durch die Welt. Taquile -Was für Jungs!

Fleißige Strickliese
Stricken - Was für Jungs!
Schifffahren - Was für Mädchen!


Titicaca-Seebärinnen


Annalí, der Touri-Guide

Immer nen Schritt voraus, die Lady

Picknick


He, Du Kerl, da gehts lang!

Nicht sooooo schlecht, die Lage vom Haus der Großeltern

Bei Oma und Opa angekommen, gerade war ein kleines Lamm geboren

Da oben wohnen Annalís Großeltern


Mut zu Farbe

Praktikant "Was für Jungs - Taquile"!

Streetlife

Da werden die neusten Strickmuster ausgetauscht



Inkaruinen auch auf Taquile


Hier haben wir gewohnt, kleine Hütte aus Lehm mit Stohfußboden

mit Seeblick, kost extra, is klar



Kochen mit Feuerholz auf Lehm



Coca oder Muña in den Tee gegen Höhenkrankheit. Gaaanz wichtig, ich weiß, wovon ich spreche...höhenkrank=schlimmer als seekrank! Die Tischdecke ist übrigens ein -na logo- von männlichen Vorfahren gewebtes Erbstück, das ca. 150 Jahre auf dem Buckel hat.

Lago Titcaca






Rätselbild: In welchem See steht Lars?

Mir wars zu kalt. Seen auf 4.000 Metern sind nicht grad muckelig warm.




Da lassen sie sich übern See kutschieren, die bunten Mützen-Männer

Und der Ohne-Mützen-Mann. Neben den bunten Mützen kam ihm seine neue Mütze wohl etwas schäbig vor...


Auf dem Weg nach Taquile kommt man an den Schilfinseln der Uros-Indianer vorbei, die ein sehr interessantes und traditionelles Leben auf den schwimmenden Inseln führen




Die Indianer leben heute fast ausschließlich vom Tourismus. Jedes Boot, das Puno verlässt, macht Stopp auf den Inseln, weshalb die schwimmenden Inseln ein bisschen wirken wie der Wilde Westen am Kalkberg...aber die Uros gehen abends nicht ins Hotel.


Schilfboote der Uros
Und das war der spektakuläre Sonnenaufgang von Puno, von dem Lars schon berichtete und den er heldenhaft erreichte. Ich gebe zu, es wäre schade gewesen, unterwegs das Zelt aufzustellen.

1 Kommentar:

  1. Ihr glaubt gar nicht, wie sehr ich euch um die mit Sicherheit lebensprägenden Erfahrungen beneide, die ihr auf diesem Trip macht. Absolut großartig!!!

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