Dienstag, 15. März 2011

Arizona und seine Menschen

Und schon der nächste Eintrag. Nach einer kurzen Durststrecke flattern die Blogs jetzt nur so ins Haus.
Die letzte Woche haben wir in einem RV-Park im Süden Arizonas, direkt an der mexikanischen Grenze, verbracht. Kurz zur Erklärung, ein RV-Park ist eigentlich ein Campingplatz, mit dem einzigen Unterschied, dass viele der Bewohner dauerhaft hier wohnen, 30 der 35 Stellplätze hier sind von Dauerbewohnern belegt. Wir wollten ein wenig durchschnaufen, da wir uns nach den ersten sechs Wochen ein wenig reisemüde fühlten. Unser Plan war es daher, hier im Nirgendwo zwei Tage auszuruhen, ein bisschen im Blog zu schreiben, zu lesen, um dann wieder durchzustarten. Nun, aus zwei Tagen wurden acht, und dafür gibt es Gründe, die einen Blogeintrag zu diesem eigentlich langweilig anmutenden Ort sinnvoll erscheinen lassen.
Ich weiß nicht, ob ich schon einmal in meinem Leben so gespalten war, was Ort und Menschen in meiner Umgebung angeht. Ich werde mit dem Negativen anfangen, damit dieser Eintrag das Happy End bekommt, das er verdient. Wie die meisten von euch wissen, war ich ein halbes Jahr in Kansas, und dennoch habe ich in der Zeit dort keine so erzkonservativen Menschen getroffen wie hier. Wir haben uns viel mit den Betreibern des Platzes unterhalten und waren viel mit ihnen unterwegs, und manchmal fiel es mir schon sehr schwer, meine Wut über ihre Einstellungen und Kommentare herunterzuschlucken. Heute, am letzten Tag, habe ich es dann noch geschafft meine kontroversen Standpunkte zu vertreten, ohne sie damit zu sehr zu verärgern. Einige Beispiele könnten vielleicht hilfreich sein. Nun, Obama vertrauen sie nicht, da sie glauben, dass er Moslem sei. Schließlich wüsste ja keiner so richtig, wo er überhaupt herkommt. Ich frage mich, bei wem man das überhaupt wissen soll, wenn nicht bei dem Menschen, der weltweit die meiste Beachtung findet, über den es genug Biographien gibt, um eine Bibliothek damit zu füllen? Bei einem kleinen Streitgespräch über das Thema Obama, in das wir allerdings beide nicht involviert waren, war die liberalste und weltoffenste Meinung, dass er so schlimm gar nicht sei, weil er ja nicht bei seinem schwarzen Vater, sondern bei seiner weißen Mutter aufgewachsen sei. Die Gegenseite hatte natürlich das unschlagbare Argument, dass ihn diese Tatsache keinen Deut weißer macht. Bev (so der Name der Betreiberin des Ladens, ihr Mann heißt Roger) vertritt des weiteren die Meinung, dass Moslems die Weltherrschaft anstreben. Sie erklärte mir geduldig, dass die Bibel die Entwicklungen in der Welt ausnahmslos richtig vorausgesehen habe. Auf meine naive Frage hin, ob sie mir dafür ein Beispiel nennen könne, kam sie dann mit harten Fakten, die allerdings in der Zukunft liegen. Ein muslimischer Herrscher wird schon bald die ganze Welt einen und unter seine Herrschaft stellen. Genau dreieinhalb Jahre lang wird Weltfrieden und Harmonie die Erdenbewohner beglücken, dann allerdings tut sich die Hölle auf und der Antichrist zeigt sein wahres Gesicht. Die Erde wird überall brennen und alle werden sterben, allerdings - puh, zum Glück - werden die gläubigen Christen verschont bleiben und durch die Rückkehr Gottes auf Erden erlöst werden (wir sind bei ihrer Vorstellung des jüngsten Gerichts angekommen). Auf meinen Einwand hin, dass ich ihre Erwartungen nicht teile, kam sie mir entgegen. Dass es sich um einen muslimischen Herrscher handeln müsse, sei ihre eigene Theorie, der Rest aber sind Fakten. Was sich daraus ableiten lässt, dass sie in der Bibel stünden. Im Endeffekt sind also die Tatsachen aus der Bibel genau deshalb richtig, weil sie in der Bibel stehen. Ein kleines Thema erlaube ich  mir noch: Waffenbesitz. wir sind mit ziemlicher Sicherheit die einzigen auf diesem Platz, die nicht neben einer geladenen Waffe schlafen. Roger hält das für eine gute Sache (nicht die Tatsache, dass wir keine haben). Die "bösen Menschen" hätten schließlich immer Waffen und die guten müssten sich verteidigen können. Auch er kam mir entgegen, als ich meinen Einwand vortrug, dass deutlich mehr Menschen durch Schusswaffen ihrer Familienmitglieder und Freunde sterben, weil diese auf alles schießen, was sich nachts im Haus bewegt. Richtig erkannt, deshalb wäre er dafür, dass zwar weiterhin jeder eine Waffe kaufen darf (in Arizona kauft man seine Waffe samt Munition tatsächlich bei Walmart und muss nur vorweisen können, dass man über 18 ist. Wird man also beim Kauf von einer Dose Bier im zarten Alter von 20 Jahren bei Walmart von der Kassiererin gestoppt, kann man immerhin zurück gehen und sich legal die Pistole kaufen, um sich bei der Kassiererin zu rächen (wobei der letzte Teil dann allerdings zum eigenen Todesurteil führt)). Es sollte aber immerhin eine obligatorische Schulung geben für alle, die sich Handfeuerwaffen zulegen. Mit dieser Forderung ist Roger natürlich zu restriktiv, was das Recht auf Waffenbesitz angeht, diese Schulung wird sicherlich nicht Gesetz. Die üblichen Beschwerden über illegale Einwanderer, die hier nur Steuergelder kassieren und nichts dafür tun und andere kleine Meckereien, die teilweise dem Tatbestand der Volksverhetzung nahekommen, führe ich jetzt mal nicht weiter aus. Mich würde das Ganze nicht besonders kratzen, wenn es sich um dumme Hinterwäldler handeln würde, die in ihrem Leben noch nicht aus der Wüste Arizonas herausgekommen sind und gerne ihre Cowboywelt zurückhätten, in der sie sich zurechtfinden. Wo dies auf einige der Bewohner hier zutrifft, sind Roger und Bev allerdings etwas anders. Sie fahren ungefähr alle zwei Jahre nach Europa, hatten vor ca 15 Jahren eine schwedische Austauschschülerin, die sie noch immer ständig besuchen und mit der sie ein super Verhältnis haben. Sie reisen lieber mit dem Auto als mit einem Reisebus, da sie die Länder, die sie bereisen, wirklich kennenlernen wollen. Sie sind interessiert an anderen Kulturen und Menschen und waren zu uns unglaublich freundlich. Hm, und hier habe ich dann wohl den Übergang zum guten Teil dieses Blogs. Wir waren jetzt 8 Nächte hier, bezahlt haben wir nur 7, für die letzte wollten sie jetzt kein Geld mehr haben. Abgesehen davon, dass der Preis offiziell bei günstigen 14 Dollar pro Nacht liegt, wir haben 11 bezahlt. Roger hat uns einmal den kompletten Tag in der Gegend rumgefahren, uns die umliegenden Städte gezeigt, uns ins Museum, zum Frühstück, zum Abendessen und auf ein paar Bier eingeladen. Sie haben für uns gekocht, damit wir kein Geld für Essen verschwenden müssen, wo wir doch noch soweit reisen. Wir wurden mit Geschenken überschüttet, haben jetzt einen neuen kleinen Kühlschrank zum Einstecken in den Zigarettenanzünder, ein altes Hufeisen der Indianer aus der Region, das uns Glück bringen soll, Bücher, ein anderes Gerät, mit dem wir den Rechner und andere Geräte am Zigarettenanzünder aufladen können, eine Vase und andere Dinge. Wir haben spaßeshalber mal ausgerechnet, dass Roger und Bev ein dickes Minus mit unserem Aufenthalt gemacht haben, da sie uns für deutlich mehr Kohle eingeladen haben als sie durch unsere Übernachtungskosten einnehmen konnten. Über andere Dinge (eigentlich alles außer Politik) haben wir uns sehr interessant und witzig mit ihnen und den anderen Bewohnern unterhalten. Alle waren sehr interessiert an uns und wollten uns an jeder Ecke helfen, haben uns teilweise sehr gute Ratschläge gegeben und waren einfach extrem herzlich, nett und gastfreundlich. Ein älterer Mann, unglaublich nett, kam gestern angerannt, als ich in den nächsten Ort fahren wollte, um etwas einzukaufen, da er Angst hatte, wir würden schon wegfahren ohne uns zu verabschieden. Jeden Nachmittag um 4 ist hier Happy Hour, bei der sich die meisten Bewohner treffen und zusammen eine Weile in der Sonne sitzen und sich bei Bier und Cola unterhalten. Durch diese Institution ist der ganze Platz wie eine Ersatzfamilie für die Menschen geworden, jeder kennt wirklich jeden und immer wieder trifft man sich auf einen kurzen Plausch und hilft sich gegenseitig. Es ist tatsächlich unvorstellbar, dass jemand ein auch nur einigermaßen größeres Projekt an seinem Wohnwagen durchführt, ohne dabei Hilfe von den anderen zu erhalten. Maiken wollte diese Woche Vorhänge für unseren Bus nähen (hat sie auch!). Es reichte dann auch, das zu erwähnen. Bev holte dann gleich ihre Nähmaschine raus, eine andere ältere Dame setzte sich an das Gerät, um zu gucken, ob das etwas angerostete Modell noch seinen Dienst tut. Es wirkte dann allerdings erstmal so, als sei dies nicht der Fall. Daraufhin hat Bev ernsthaft dieser anderen Dame (Donna) gesagt, sie solle doch bitte noch am selben Tag für sie eine neue kaufen. Bev kam erst gegen Abend von der Arbeit zurück, Maiken und ich wollten eigentlich am nächsten Tag los. Da versteht es sich natürlich von selbst, dass Bev sich ihre neue Nähmaschine nicht selbst aussuchen kann, schließlich muss sie ja rechtzeitig da sein, so dass Maiken früh genug an den Vorhängen arbeiten kann. Nun, im Endeffekt lief die alte Maschine dann doch noch und Maiken konnte loslegen. Sie hat sich in die Kunst des Nähens einweisen lassen und hat bei ihrem ersten Job richtig gute Arbeit geleistet, dafür mal ein kleines Lob von mir, war tatsächlich ziemlich beeindruckt, muss ich zugeben.
Roger weiß eine Menge über die Geschichte der Gegend, in der wir uns befinden, so dass wir jetzt auch ein bisschen Bescheid wissen über die Zeit der Cowboys und Glücksucher auf ihrer Jagd nach Bodenschätzen und Land. Vor ein paar Tagen waren wir am Zaun, der die USA von den bösen Mexikanern beschützt. Border Patrol Fahrzeuge alle zwei Minuten, einige sind auch angehalten und haben uns angesprochen, was wir dort wollen etc. Den Agents zufolge war an dem Tag viel Aktivität auf der anderen Seite, wir sollten vorsichtig sein. Roger konnte ihn jedoch beruhigen: Don’t worry about us, I’m never far away from a loaded gun. Der Polizist war daraufhin genauso beruhigt wie wir es hätten sein sollen und hinterließ eine Staubwolke, als er uns verließ.
Alles in allem hatten wir eine wahnsinnig schöne Zeit an einem Ort, von dem wir es nie erwartet hätten. Vielleicht ist es für viele von euch jetzt schwer vorstellbar, dass es wirklich toll war mit diesen Menschen. Es gibt Punkte, in der sie Einstellungen haben, die nicht im Entferntesten mit unseren übereinstimmen. Dennoch sind sie nicht dumm, im Gegenteil. Wir haben uns über vieles mit ihnen lange unterhalten und viel aus den Gesprächen gezogen. Die beiden haben uns aufgenommen, als wären wir ihre eigenen Kinder. Wir hätten genauso gut nach drei Tagen fahren können, aber es war so schön hier und warmherzig, dass wir immer wieder geblieben sind. Es ginge im Übrigen auch zu weit, den Menschen per se Rassismus vorzuwerfen. Es wohnt auch eine Mexikanerin hier, die Teil der großen Familie hier ist. Die Menschen hier reisen nach Mexiko und berichten mit leuchtenden Augen von der reichen Kultur und der Gastfreundschaft der Mexikaner. Sie haben Mitleid mit den armen Ausländern, die aus Verzweiflung den schweren Weg über die Grenze suchen. Sie geben ihnen Wasser und Essen, wenn sie halbverhungert hier ankommen, auch wenn sie danach die Border Patrol anrufen. Das wiederum ist auch verständlich, immerhin brechen sie das Gesetz und halten sich illegal in dem Land auf. Maiken und ich haben uns fast jeden Abend darüber unterhalten, wie es sein kann, dass so unglaublich freundliche und intelligente Menschen in einigen wenigen Punkten so radikale (aus unserer Sicht) Standpunkte vertreten können. Es wird dann doch deutlich, wie liberal wir aufgewachsen sind und dass es keineswegs selbstverständlich ist. Die Umgebung, in der man aufwächst, hat nun einmal einen großen Einfluss auf das Denken und so versuchen wir Verständnis aufzubringen. Die Beispiele, die ich angebracht habe, sollen auch nicht dazu dienen, jemanden lächerlich zu machen. Ich denke nur, dass sie helfen, sich ein Bild zu machen. Trotzdem überwiegt bei weitem das Gute in den Menschen, die wir kennengelernt haben. Wir werden vor allem in Erinnerung behalten, wie die Zeit war, die wir mit ihnen verbracht haben. Ich hoffe, dass wir Roger und Bev wieder treffen, wenn sie mal wieder nach Europa kommen. Im Mai werden sie nach Berlin fahren, wir werden dann noch unterwegs sein, aber es wird sicher nicht ihre letzte Reise sein, so dass wir sie hoffentlich wieder treffen. Über das alles zu schreiben, ist nicht ganz einfach, daher wird dieser Post auch länger und länger. Noch einmal: Wer in dieser Gegend der USA als Weißer aufwächst, bekommt bestimmte Werte von der Kindheit mit (natürlich gibt es Ausnahmen). Wenn ich diese ausklammere, haben wir hier in der Wüste Arizonas die außergewöhnlich freundlichsten, hilfsbereitesten und herzlichsten Menschen getroffen, die man sich nur vorstellen kann. Damit soll es dann auch gut sein. Ich hoffe, dass Ihr nachvollziehen könnt, dass für uns die guten Seiten dieses Aufenthalts bei weitem überwiegen, obwohl es Dinge gibt, die schwer nachvollziehbar sind aus europäischer Sicht.
Nun gehts weiter mit einer neuen Erfahrung im Gepäck, morgen gehts zum Wonderland of Rocks, ein State Park noch in Arizona, danach gehts nach New Mexico.
Bis bald,
Euer Lars
 P.S. Leider ist die Internetverbindung gerade wieder nicht schnell genug, um Fotos hochzuladen. Es ist auch sehr warm heute, vielleicht setzt die Hitze dem Laptop auch ein wenig zu. Die Bilder zu diesem Blog kommen also beim nächsten mal dazu.



 

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